Von Mevlüt Çavuşoğlu, Außenminister der Republik Türkei über die Kohlenwasserstoffaktivitäten im östlichen Mittelmeerraum/Zypern.
Es ist mehr als ein halbes Jahrhundert her, seit die griechischen Zyprioten 1963 die Republik Zypern gewaltsam an sich gerissen haben, die durch die Verträge von 1960 gegründet wurde und auf einer Partnerschaft zwischen türkischen sowie griechischen Zyprioten auf der Grundlage der politischen Gleichstellung beruhte. Aufgrund der unnachgiebigen Haltung der griechisch-zypriotischen Seite haben die seit 1968 unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen durchgeführten Verhandlungsprozesse keine positiven Ergebnisse erbracht. Trotz des konstruktiven Ansatzes der Türkei und der Türkischen Republik Nordzypern (TRNZ) ist auch der jüngste Verhandlungsprozess gescheitert, da die letzte Runde der umfassenden Lösungsprozesse, die Zypern-Konferenz, im Juli 2017 in Crans-Montana ohne Ergebnis ausging.
Der Hauptgrund für das Scheitern dieser Verhandlungen ist, dass sich die griechisch-zypriotische Seite weigert, die Macht mit den türkischen Zyprioten zu teilen. Wir stellen fest, dass es seit dem Abschluss der Zypern-Konferenz kein Umdenken auf der griechisch-zypriotischen Seite gegeben hat. Der griechisch-zypriotische Anführer betrachtet sich nach wie vor als Oberhaupt eines einheitlichen Staates und als Anführer, der Minderheitenrechte gewährt. Er gibt zu erkennen, dass er weit davon entfernt ist, die politische Gleichstellung der türkisch-zypriotischen Seite zu akzeptieren.
Als die Türkei haben wir betont, dass die Verhandlungen nicht an dem Punkt fortgesetzt werden können, an dem die Zypern-Konferenz 2017 ohne Ergebnis beendet wurde.
Wir haben hervorgehoben, dass im Hinblick auf die Wiederaufnahme der Verhandlungen im Voraus festgelegt werden sollte, was, in welche Richtung und im Rahmen welcher Modalitäten verhandelt werden soll. In den letzten fünfzig Jahren sind die Verhandlungen über eine bizonale und bikommunale Föderation ohne Ergebnis geblieben. Wir halten es nicht für sinnvoll, eine neue offene Aktion ohne klare Vision oder Zweck durchzuführen und die Verhandlungen nur um der Verhandlungen willen aufzunehmen. Als die türkische Seite schließen wir kein Lösungsmodell aus oder bestehen nicht auf einem solchen. Wir treten dafür ein, dass alle Optionen auf dem Tisch liegen. Wichtig für uns ist nicht der Name des Lösungsmodells, sondern, dass die Lösung die politische Gleichstellung der türkischen Zyprioten und ihre effektive Beteiligung an den Entscheidungsmechanismen sowie ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit gewährleistet.
Andererseits, wenn ein neuer Verhandlungsprozess eingeleitet werden soll, sollte im Voraus bestätigt werden, dass beide Seiten auf der Insel über eine gemeinsame Vision verfügen und dass sie für Verhandlungen auf einer gemeinsamen Grundlage bereit sind. Unter den gegenwärtigen Umständen, bei denen die griechisch-zypriotische Seite von früheren Übereinstimmungen zurücktritt und die politische Gleichstellung der türkischen Zyprioten nicht akzeptiert, ist es schwer zu sagen, dass eine solche gemeinsame Basis existiert.
Wir stehen einer griechisch-zypriotischen Verwaltung Südzyperns gegenüber, die von allen Vorteilen der EU-Mitgliedschaft vollkommen Gebrauch macht und sich als alleiniger Eigentümer der Insel betrachtet. Die griechisch-zypriotische Seite ist bereit, weder die politische Macht noch die natürlichen Ressourcen der Insel mit den türkischen Zyprioten zu teilen, die die Miteigentümer der Insel sind. Durch ihre einseitigen Kohlenwasserstoff-Aktivitäten missachtet die griechisch-zypriotische Verwaltung nicht nur die den türkischen Zyprioten innewohnenden Rechte an den natürlichen Ressourcen, sondern verletzt auch die Rechte der Türkei, die sich aus dem Völkerrecht auf ihrem bei den Vereinten Nationen registrierten Kontinentalschelf ergeben.
Wir haben von Anfang an betont, dass bei allen Entscheidungen über die gemeinsamen Ressourcen der Insel auch die türkischen Zyprioten in die Entscheidungsmechanismen einbezogen werden sollten. Die griechisch-zypriotische Seite lehnte die Kooperationsvorschläge ab, die die türkisch-zypriotischen Behörden in den Jahren 2011 und 2012 unterbreiteten. Darüber hinaus betrachtet die griechisch-zypriotische Verwaltung die Frage der Kohlenwasserstoffe leider nicht als ein Element, das mit den türkischen Zyprioten geteilt und worüber gemeinsam entschieden werden sollte. Die griechisch-zypriotische Verwaltung behauptet, dass sie den Anteil der türkischen Zyprioten bewahrt, der ihnen nach der Lösung gewährt wird. Während die griechisch-zypriotische Seite nun die Ressourcen der Insel vermarktet und beginnt, Gewinne zu erzielen, ist es weder für uns noch für die türkischen Zyprioten hinnehmbar, dass die türkischen Zyprioten die Ausübung ihrer Rechte nach einer Lösung verschieben, die von den griechischen Zyprioten verhindert wurde.
Daher war der von den türkischen Zyprioten am 13. Juli 2019 vorgelegte Vorschlag zu den Kohlenwasserstoffressourcen vollkommen zutreffend und zeitlich. Dieser Vorschlag, den wir uneingeschränkt unterstützen, sieht vor, dass türkische und griechische Zyprioten als Miteigentümer der Insel bei Kohlenwasserstoffressourcen, auf die sie gleiche Rechte haben, zusammenarbeiten, einschließlich der Aufteilung der Einnahmen und der gleichzeitigen Nutzung dieser Ressourcen. Die Umsetzung dieses Vorschlags wird eine neue Ära der Zusammenarbeit einleiten, zum regionalen Frieden, zur Stabilität und Zusammenarbeit beitragen und auch eine günstige Atmosphäre für die Lösung der Zypern-Frage schaffen.
Die Kohlenwasserstoff-Frage im östlichen Mittelmeerraum hat zwei Aspekte. Der eine betrifft den Schutz der Kontinentalschelfrechte der Türkei, der andere die Zypern-Frage selbst.
Mit der längsten Küste des östlichen Mittelmeers schützt die Türkei ihre Rechte und Interessen auf ihrem Kontinentalschelf entschlossen. Es ist nicht richtig, einen direkten Zusammenhang zwischen dieser Angelegenheit und der Zypern-Frage herzustellen. Tatsächlich setzen wir unsere Erforschungs- und Bohraktivitäten in den Gebieten fort, worin wir unsere Kontinentalschelfrechte ab 2004 geographisch und rechtlich bei den Vereinten Nationen registriert haben und unsere Regierung 2009 und 2012 Lizenzen für die Turkish Petroleum Corporation erteilt hat. Fatih, unser Bohrschiff, ist auf dem türkischen Kontinentalschelf immer noch im Einsatz. Wir sehen, dass die griechisch-zypriotische Regierung in fast jeder Plattform tobt und unbegründete Beschwerden vorbringt, dass die „Türkei gegen unsere ausschließliche Wirtschaftszone (AWZ) verstößt“. Warum unbegründet? Denn in Bezug auf das Gebiet, in dem Fatih Bohraktivitäten durchführt, ist das Seegerichtsbarkeitsgebiet zwischen der Türkei und der Insel Zypern noch nicht durch ein Seegrenzabkommen abgegrenzt. Daher ist es rechtlich nicht möglich, diesen Bereich als „AWZ der griechisch-zypriotischen Verwaltung“ zu bezeichnen. Der Ansatz der Türkei in dieser Frage steht im Einklang mit dem Völkerrecht. Nach dem Seerecht können die Inseln, wenn es um die Abgrenzung geht, eine begrenzte -oder in bestimmten Fällen sogar keine- Wirkung auf die Erzeugung von Kontinentalschelf und AWZ im Vergleich zu kontinentalen Küsten erhalten, wenn die Existenz von Inseln die gerechte Abgrenzung verzerrt. Eine automatische Äquidistanzlinie in der maritimen Abgrenzung hat im Völkerrecht absolut keinen Platz. Die gerechte Abgrenzung ist der Hauptgrundsatz im Einklang mit dem Völkerrecht, einschließlich der völkerrechtlichen Rechtsprechung. Die Abgrenzung der maritimen Gerichtsbarkeitsbereiche sollte entweder durch ein bilaterales Abkommen erfolgen, das die Rechte der Dritten nicht verletzt, oder durch die Berufung eines internationalen Gerichtsmechanismus. Was beispielsweise die Kontinentalschelfrechte der Türkei betrifft, so ist das so genannte AWZ-Abkommen, das 2003 zwischen der griechisch-zypriotischen Verwaltung und Ägypten abgeschlossen wurde, nichtig und ungültig, nicht nur wegen der Existenz der Zypern-Frage, sondern auch, weil die Abgrenzungslinie in diesem Abkommen den Kontinentalschelf der Türkei verletzt. Die Abgrenzungsfrage im Westen der Insel kann erst nach einer umfassenden Lösung der Zypern-Frage angegangen werden, die es der Türkei ermöglichen würde, mit einer von ihr anerkannten internationalen Einheit zusammenzuarbeiten.
Der zweite Aspekt betrifft den völkerrechtlichen Schutz der innewohnenden Rechte der türkischen Zyprioten, die die Miteigentümer der Insel sind. In dieser Hinsicht unterstützen wir die TRNZ uneingeschränkt. Unsere Arbeiten, bei denen die türkisch-zypriotische Regierung im Jahr 2011 Lizenzen für die Turkish Petroleum Corporation erteilt hat, stehen in diesem Zusammenhang. Unser Bohrschiff Yavuz und das seismische Schiff Barbaros Hayreddin Paşa sind in diesen Bereichen tätig.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir als die Türkei alle Maßnahmen umgesetzt haben, die wir in diesem Bereich immer wieder betont haben. Daher reagieren wir mit konkreten Maßnahmen vor Ort auf die einseitigen Kohlenwasserstoffaktivitäten, die die griechisch-zypriotische Seite mit Nachdruck unter Ausschluss der türkischen Zyprioten durchführt. Die Türkei wird ihre prinzipientreue und entschlossene Haltung fortsetzen. Wie unser Präsident bei jeder Gelegenheit erklärt hat, werden wir es niemals zulassen, dass die legitimen Rechte und Interessen der türkischen Zyprioten verletzt werden.
Solange sich die griechischen Zyprioten nicht für eine Zusammenarbeit entscheiden, die einen gemeinsamen Entscheidungsmechanismus mit den türkischen Zyprioten -dem gleichberechtigten Partner der Insel- vorsieht, und kein Kooperationsmechanismus eingerichtet wird, wie in dem Vorschlag vom 13. Juli vorgesehen ist, wird die Türkei ihre Aktivitäten ohne Verzögerung entschlossen in den Bereichen fortsetzen, in denen die TRNZ Lizenzen für die Turkish Petroleum Corporation erteilt hat.
Wir sind für Frieden und Stabilität im östlichen Mittelmeerraum. Historisch und geopolitisch gesehen spielt die Türkei mit ihrer längsten Küste des Mittelmeers eine Schlüsselrolle für die Stabilität und Sicherheit der Region. In diesem Zusammenhang ist jedes Streben nach Partnerschaft und Zusammenarbeit, das darauf abzielt, die Türkei in der Region auszuschließen, zum Scheitern verurteilt. Dies ist in der Tat als eine natürliche Folge der Realitäten der Region und des Völkerrechts zu sehen.
Es ist klar, dass die türkischen Zyprioten das Opfer der Fortsetzung des Status quo auf der Insel sind. Wir werden nicht zulassen, dass die türkischen Zyprioten, welche den vom griechisch-zypriotischen Volk abgelehnten Annan-Plan akzeptiert haben, alle Anstrengungen unternommen haben, um eine Lösung zu finden, jede Art der von ihm erwartenden Opferbereitschaft gezeigt haben und positive und konstruktive Haltung auf der Zypern-Konferenz, die im Juli 2017 in Crans-Montana endete, gezeigt haben, den Preis für die Nichteinigung zahlen. Die Türkei hat die türkischen Zyprioten nie im Stich gelassen und alle Anstrengungen unternommen, um ihre Rechte und Interessen zu schützen. Auch in Zukunft wird sie sich nicht davor scheuen, Opferbereitschaft zu zeigen.
Der Artikel erschien zuerst im türkischen Original am 14. Juli 2019 in der Zeitung „Kıbrıs Postası“.